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A1: Die Entdeckung des Murus Gallicus in Basel

Im Sommer 1971 wird auf dem Basler Münsterhügel an der Rittergasse der Murus Gallicus, die keltische Stadtmauer, entdeckt. Diese belegt erstmals eine Zeitstellung der Keltensiedlung auf dem Münsterhügel zwischen der älteren Flachsiedlung am Rhein (Siedlung Basel-Gasfabrik) und der Zeit der römischen Okkupation.

Sommer 1971 an der Rittergasse 5 in Basel: Die alte Turnhalle von 1887 soll abgerissen werden. Der Kantonsarchäologe Rudolf Moosbrugger bekommt für die Monate August und September Zeit, den Boden zu untersuchen. Er hat die gute Idee, die Grabung vor dem Abriss der Halle durchzuführen und die Halle gewissermassen als  Schutzdach zu nutzen. Der Schreibende ist als Student dabei. Er erfüllt sich seit 1969 seinen Jugendtraum, Archäologe zu werden, nachdem er sich zunächst in anderen Fächern umgesehen hat und schon auf der Löwenburg bei Pleigne im Jura bei Elisabeth Schmid erste studentische Gehversuche im Ausgrabungssektor machen konnte.

Der Holzboden der Turnhalle wird als erstes herausgerissen. Darunter kommt im nördlichen Teil nichts als Kies zum Vorschein, nur im vorderen Bereich, gegen den alten bekannten Befestigungsgraben hin, ein Paket von Kulturschichten. Der Kantonsarchäologe lässt die genannte, in Sedimentanalyse bewanderte Elisabeth Schmied, Leiterin des Labors für Urgeschichte, kommen. Sie glaubt im hoch liegenden rötlichen Kies eher natürlich abgelagertes Material zu erkennen. Was aber ist mit den verschiedenen hohlen Gängen im Kies, eine gute Handbreit weit und ziemlich gerade verlaufend? Es könnten Fuchsgänge sein, war zunächst die Meinung. Wir machten uns enttäuscht mit einem raschen Ende der Grabung und damit des Ferienjobs vertraut.
Bis dann der junge Grabungstechniker Christian Bing aus Neugierde eines Tages mit dem Arm tief in einen dieser Fuchsgänge greift, einen langen festen Gegenstand umfasst – und herauszieht. Es ist ein stark verrosteter Nagel! Jetzt macht es Klick! Von der humanistischen Ausbildung her kannte man die Schilderung Caesars in seinem Bellum Gallicum VII 23 der keltischen Wallanlagen, genannt Murus Gallicus. Die Sensation war perfekt! Schon vorher waren einige solche Nägel gefunden worden, direkt unter dem Turnhallenboden allerdings, und man hatte sie zunächst für neuzeitliche Zimmermanns-Nägel gehalten.
Die weitere Untersuchung der Wallanlage ergab aufgrund der Balkenhohlräume einen Gitterrost mit deutlichen Brandspuren im Frontbereich und die Ecke einer Toranlage in Form von Trockenmauern zur Rittergasse hin, knapp vor dem Fundament der Turnhalle erhalten. (Die Rittergasse war schon in keltischer Zeit die Hauptachse der Siedlung gewesen.) – Wie stolz waren wir, bei dieser Entdeckung dabei sein zu dürfen, Feuer und Flamme. Bei Abwesenheit des Chefs durfte ich das Grabungs-Tagebuch schreiben. Schliesslich übergab mir der Kantonsarchäologe grosszügig die wissenschaftliche Auswertung der Grabung. 1972 sollte ich dann bereits die daneben liegende Grabung des Bischofshofs leiten. Ein Jahr später wurde ich erstmals Vater und wollte mein Studium rasch mit dem Lizentiat abschliessen. Das Thema der Prüfungsarbeit war die eben sicher nachgewiesene keltische Siedlung auf dem Münsterhügel.

Hohlräume der Balkengitter des Murus Gallicus an der Rittergasse mit grossen Nägeln (helle Punkte) an den Kreuzungspunkten:

Eckpartie der Steinfront des Murus Gallicus im Torbereich unmittelbar neben dem Fundament der neuzeitlichen Turnhallenmauer an der Rittergasse 5, 1971:

Der lange Schatten der Römer

Dass der Nachweis eines keltischen Oppidums (stadtähnliche Anlage der Kelten) so lange gedauert hatte, ist auch mit der schon genannten Römerbegeisterung bis ins mittlere Drittel des 20. Jahrhunderts zu erklären. Die von Rudolf Laur angeschobene baslerische 2000-Jahrfeier von 1957, die sich auf Augst bezog, wurde zum Grossereignis. Obwohl der nüchterne Felix Staehelin schon im Jahre 1922 ein Basler Oppidum postuliert hatte, dauerte es fast 50 Jahre bis zum Nachweis des keltischen Ursprungs der Siedlungen auf dem Münsterhügel. In der Zeit des Zweiten Weltkriegs und der nachfolgenden Zeit der schnellen Fortschritts lagen die Römer besser im Zeitgeist (zu Laur und den Römern siehe «Die Schweiz zur Zeit der Römer» bes. S. 306ff.).

Von diesem Volkstribun hatte Rudolf Laur offenbar sein Kommunikationstalent geerbt, das auch meinen Vater in Bann zog; er wollte Archäologe werden, musste aber dann einen weniger brotlosen Beruf ergreifen und wurde Chemiker. Aber er begeisterte in der Folge später mich, den jüngeren Sohn (und mit ihm auch meinen Cousin Alex Furger, später Leiter der Ausgrabungen und des  Museums in Augst) für die Archäologie. Als junger Schüler schon war mir dann klar: Ich werde Archäologe. Es war die Zeit, als Bücher wie «Götter, Gräber und Gelehrte» von 1949 sowie «Und die Bibel hat doch recht» von 1955 Bestseller waren und auch von mir verschlungen wurden. Mein Vater legte für den jungen Gymnasiasten ein Wort bei Rudolf Laur ein, mittlerweile Chef in Augst, und ich konnte bereits als 15-Jähriger an Grabungen in Augst teilnehmen.

Ur- und frühgeschichtliche Archäologie wurde in der Schweiz der Zwischenkriegszeit allmählich zu einer Wissenschaft, vor allem die provinzialrömische Archäologie. Die Römer wurden damals als «unsere kulturellen Vorgänger» gesehen. Ein Exponent der ersten Stunde war in Basel Rudolf Laur (1898 bis 1972), der in den dreissiger Jahren sein Brot auch noch als Lehrer verdiente. Mein 1917 geborener Vater, Hans-Peter Furger, war am Naturwissenschaftlich-Mathematischen Gymnasium Schüler eben dieses frühen Forschers. Derselbe nahm in den Ferien interessierte Schulbuben mit nach Vindonissa auf seine Ausgrabungen. Übernachtet wurde im Bauernhaus dessen Vaters in Bözen, Ernst Laur, dem bekannten Direktor des Bauernverbands («Schweizerart ist Bauernart»).

Gedruckte Publikationen

Oppidum Basel-Münsterhügel
Grabungen 1971/72 an der Rittergasse 5. Mit einem Exkurs zu den spätkeltischen Fundmünzen aus Basel
Jahrbuch Nr. 58
Schweizerische Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte
1974/75, Seiten 77-111 (Lizentiatsarbeit)
Die Ausgrabungen im Basler Münster 1
Die spätkeltische und augusteische Zeit
Untersuchungen zur spätkeltisch-frührömischen Übergangszeit in Basel, Band 1
Derendingen-Solothurn
Dissertation
1979
Der Murus Gallicus von Basel
Jahrbuch Nr. 63
Schweizerische Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte
1980, Seiten 131-184
Frühe Auxilien am Rhein
Keltische Münzen in römischen Militärstationen
Archäologisches Korrespondenzblatt 11, 1981, Seiten 231-246
Die Schweiz zur Zeit der Römer
Multikulturelles Kräftespiel vom 1. bis 5. Jahrhundert

Andres Furger, Cornelia Isler-Kérenyi , Stefanie Jacomet, Christian Russenberger und Jörg Schiblery | Zürich, 2001

Unter uns
Archäologie in Basel

Herausgegeben von der Archäologischen Bodenforschung Basel-Stadt und dem Historischen Museum Basel | Basel, 2008

Eckhardt Deschler-Erb
Basel-Münsterhügel
Am Übergang von spätkeltischer zu römischer Zeit
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