Am Basler Museum wurde ich mit den Jahren zu einem Mann mit den zwei Forschungsgebieten Archäologie und historische Wagen. Mit einem Experiment verband ich die Arbeit über die Welt der Kelten mit der der Fahrzeuggeschichte: In keltischen Gräbern wurden wiederholt eiserne Teile von Streitwagen gefunden, die man nicht recht zuordnen konnte.

Ein funktionsfähiger keltischer Zweiradwagen war noch nie 1:1 rekonstruiert und einem Fahrtest unterzogen worden. Also wurde mit dem Nachbau eines „essedum“ begonnen, wie dieses Modell in den alten Quellen genannt und auch auf Münzen abgebildet wurde (dazu das ePaper „Der gefederte keltische Wagen und seine kulturgeschichtliche Bedeutung“ unter www.academia.edu).

Von meinen Irland-Reisen hatte ich zudem Kenntnis von alten irischen Sagen, in denen der Streitwagen eine wichtige Rolle spielte. In den entsprechenden Texten fielen Passagen auf, die auf eine frühe Federung hindeuteten und ungeklärte Grabfunde zu erklären halfen.

Das Projekt des Nachbaus eines Streitwagens wurde mit dem über 80jährigen, aber rüstigen Wagner alter Schule namens Walter Ritter im solothurnischen Kappel besprochen. Der begann sich sofort für das Projekt zu begeistern. Als ich ihm Zeichnungen ungeklärter längliche Eisenteile vorlegte, die im Bereich von Radnaben gefunden wurden, erwiderte er spontan: „Das sind Legeisen“.

 

Er, der in der Lehrzeit noch manche Bauernwagen mit konischen Holzachsen gebaut hatte, kannte die Eisenverstärkungen auf den Laufflächen noch, die ein zu starkes Abreiben der Auflageflächen auf den Achsstummeln verhinderten. Form und Funktion waren während über 2000 Jahren unverändert geblieben!

Nicht ganz so glatt ging es bei den Rädern. Ich zeigte dem alten Wagner Bilder eines Radfundes von La Tène am Neuenburgersee aus der Zeit um 200 v. Chr. (Die Kelten waren im Bereich des Wagenbaues führende Handwerker gewesen.) Das massiv gebaute Rad zeigte eindeutig eine einteilige, im Dampf gebogene Holzfelge, während bei uns im 19. und 20. Jahrhundert nur zweiteilige Felgenbügel bekannt waren. Gefragt waren aber Räder mit einteiligen Felgen. Seine spontane Antwort: „Das ist unmöglich!“ Die Felge könne er schon im Dampf zu einem Kreis biegen, aber das Einspeichen des Sterns (Nabe mit eingeschlagenen Speichen) sei nicht zu machen.

Meine Antwort war: „Wenn das früher möglich war, müsste es doch heute auch gehen.“ Diese Bemerkung liess ihn nicht mehr los. Einen Monat später hatte ich die Räder mit der einteiligen Felge. Beim Abholen verriet er mir dann auch seine Lösung. Er konstruierte einen gegenüber der Felge etwas grösseren Hilfsreif aus Stahl, spannte mit Zwingen den kreisrunden Felgenbügel behutsam auseinander, schob den Radstern hinein und löste Zwinge um Zwinge, bis das Rad fertig eingespeicht war.

Der Wagen mit der schwimmenden Plattform war fertig, jetzt wollte ich ihn im Experiment testen. Zwei Freibergerpferde von Daniel Würgler wurden nach alter Art unter das Joch gespannt. Zuerst gab es noch Bedenken, weil heute Pferde Fahrzeuge über Zugstränge ziehen, in der Antike aber der Zug vom Joch auf die Deichsel übertragen wurde. Die Pferde liessen sich das aber gefallen. Mein Freund spielte den sitzenden Wagenlenker, ich den stehenden Krieger. So ratterten wir ohne Probleme durch Wald und Feld.

Die schwimmend aufgehängte Plattform erlaubte dem „Krieger“ die Mitfahrt in stehender Haltung. Jetzt wollte ich das Experiment nachvollziehen, wie es Caesar für britannische Streitwagenkrieger überlieferte: Der Krieger klettert in voller Fahrt auf der Deichsel nach vorne, steht aufs Joch und schleudert die Wurflanze ab. Wir begannen mit dem ersten Test langsam mit stehendem Gespann: Behutsam balancierte ich über die Deichsel nach vorne, setze einen Fuss aufs Joch, liess mir von hinten die Lanze reichen und setze zum Wurf an.

 

Wie die Pferde aber die Waffe von hinten kommen sahen, setzen sie zum Sprung an. Mich katapultierte es im Rückwärtssalto nach hinten und ich landete zwischen Hinterhufen und Rädern, eine intuitiv vollzogene Seitenrolle rettete mich vor dem Überrollt-werden. Dabei liessen wir es dann.

Mittlerweile hatte ich meine neue Stelle am Landesmuseum angetreten und konnte mir keinen gröberen Unfall erlauben. Dort sollte die Rekonstruktion ausgestellt werden; da wollte ich das Objekt – und mich – nicht zu lädiert präsentieren.

Der Nachweis war ja erbracht, dass es schon in keltischer Zeit Wagen mit schwimmend aufgehängter Plattform gab. Bisher kannte man das erst aus römischer und mittelalterlicher Zeit, vor allem bei Reisewagen, wie etwa eine Abbildung aus der Chronik Diepold Schillings von 1474 zeigt (dazu das ePaper „Der gefederte keltische Streitwagen und seine kulturgeschichtliche Einordnung“ unter www.academia.edu.