Die Einrichtung eines Kutschenmuseums bei Basel war der Anfang der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Pferd und Wagen. So, wie als Archäologe nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit der Hand gearbeitet wird, folgte hier eine praktische Tätigkeit als Reiter und Fahrer.

Die Einrichtung eines Kutschenmuseums bei Basel war der Anfang der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Pferd und Wagen. So, wie als Archäologe nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit der Hand gearbeitet wird, folgte hier eine praktische Tätigkeit als Reiter und Fahrer. Anfangs 1981 im Historischen Museum Basel: Direktor Hans Lanz ruft mich in sein Büro und drückt mir einen Schlüsselbund in die Hand. „Das sind die Schlüssel zum Kutschendepot in Riehen, schauen sie sich dort um, sie müssen ein Kutschenmuseum einrichten, viel Zeit haben wir nicht.“

Erst kurz zuvor hatte ich dort eine Stelle als Kurator angetreten. Als vom quirligen Präsidenten der Museumskommission angeworbener Archäologe sollte ich vor allem die verwaiste archäologische Abteilung führen. Wie anderen Kuratoren- Kollegen auch, waren mir indessen auch andere Abteilungen zugeteilt worden, darunter die so genannte „allgemeine Abteilung“, zu der auch die historischen Verkehrsmittel gehörten. Ich machte mich also auf ins Depot und stand zunächst etwas ratlos vor den magazinierten Kutschen und Schlitten, die alte Basler Familien in vergangenen Jahrzehnten dem Museum geschenkt hatten.

Eigentlich hatte ich ganz anderes vor, nämlich weiter eine aktive Rolle in der Archäologie-Szene Basels zu spielen.  Bald wurde klar, dass der Auftrag ernst zu nehmen war. Dahinter stand das Kommissionsmitglied Hans Meier, Direktor der einflussreichen Christoph Merian Stiftung. Er hatte die eben zu Ende gegangene Schweizer Gartenbauausstellung „Grün 80“ im nahen Brüglingen initiiert. Nach deren Ende wurde die grosse Scheune gegenüber dem Pächterhaus bei der Merian-Villa leer geräumt.

Er hatte die zündende Idee, innerhalb des im Aufbau befindlichen Botanischen Gartens ein Museum für Kutschen und Schlitten entstehen zu lassen, damit die Besucher des Merian-Parks bei schlechtem Wetter auch etwas Kulturelles geboten werden könne. Langsam machte ich mich mit dem neuen Gebiet Pferd und Wagen vertraut und warf mich schliesslich mit Verve in die Aufgabe, zumal nur wenige Monate bis zur Eröffnung der  Museumsscheune veranschlagt waren. Damals war die Vergangenheit Basels als Stadt der schönen Pferde und herrschaftlichen Chaisen noch etwas lebendig, Hans Meier war, wie viele andere Basler auch, Reiter gewesen. Ich hatte jedoch dieser Welt bislang fern gestanden.

Andres Furger Pferd und Wagen Phaeton von Alexander Clavel
Der Phaeton von Alexander Clavel vor dem Pächterhaus in Brüglingen

Die Eröffnung des Kutschemuseums in Brüglingen

Im Frühjahr 1981 wurden also die Kutschen aus dem Depot ins Kutschenmuseum Brüglingen transportiert und dort im Erdgeschoss aufgestellt. Weitere schöne Wagen kamen aus dem ehemaligen Besitz Alexander Clavels vom Wenkenhof dazu, darunter sein rotbrauner Phaëton mit Halbverdeck. Hintergrundwissen zum neuen Thema bezog ich bei älteren Basler Carrossiers wie Alfred Heimburger, Alfred Kölz oder Alfred Köng, die in der Jugendzeit selber noch die Zeit des Kutschenbaus miterlebt hatten. Sie gaben bereitwillig Auskunft. Dazu kam die Hilfe vom damals besten Sammler und Kenner alter Kutschen der Schweiz, Robert Sallmann in Amriswil.

Andres Furger Pferd und Wagen Gespräch mit Alfred Heimburger
Gespräch mit Alfred Heimburger1984; Filmstill aus einer Videoaufzeichnung

Pünktlich konnte die Eröffnung stattfinden; vor der Museumsscheune standen vier angespannte historische Wagen. Dafür hatte ich Kontakt mit der lokalen Fahrsportgruppe aufgenommen. Damals wurde Kutschenfahren eben eine aufstrebende Disziplin der FEI, die Schweizer waren mit der Berner Militärpferde-Anstalt (EMPFA) führend mit dabei. Am Eröffnungstag des neuen Museums fuhren also die Gespanne zweier Landwirte, des Fahrsport-Präsidenten und eines jungen Fahrer namens Daniel Würgler vor. Jetzt sah ich erstmals diese funktionalen Objekte in Gebrauch. Und ich war begeistert!

Kindheitserinnerungen wurden wach. In Binningen, wo ich aufgewachsen war, kam in meiner Kinderzeit noch die Gemüsefrau aus dem Elsass mit dem angespannten Bockwagen vors Haus gefahren, auch der Milchmann war mit einem Pferdewagen unterwegs. Noch heute sehe ich, wie er im Winter unter dem Schein der Wagenlaterne mit fingerlosen wollenen Handschuhen meiner Mutter das „Uusegäld“ aus dem runden, gefältelten Lederbeutel herauszählt. Lebendig wurde auch, wie am Sonntagmorgen auf dem Bauernhof des Mitschülers Schmutz den abfahrbereiten Pferden vor dem glänzenden Break die Hufe geschwärzt wurden.

Mündliche Überlieferungen

Das Echo auf diese Aktionen war in Basel ansehnlich, auch in der Presse – jetzt wusste fast jeder in der Stadt, dass es ein neues Museum für Kutschen und Schlitten gab. Und wir bekamen immer mehr Objekte geschenkt, neben Fahrzeugen auch Dokumente und Photographien. Eine davon zeigt eine Werkstatt mit dem Wagner Alfred Köng (mit Planrolle), dem gleichnamigen Vater des schon genannten Carrossier Köng, der mit die schönsten Autokarosserien der Schweiz gebaut hatte (darunter den heute in Mülhausen stehenden Bentley von Alexander Clavel). Alfred Köng hatte seine Karriere, die ihn bis nach Detroit in Amerika führte, in der Werkstatt des Vaters begonnen. Darüber berichtete er: „Ich habe mein Formempfinden in der Ausbildung bei meinem Vater herausgebildet. Am Anfang durften wir Lehrlinge nur Räder machen. Bei der Anfertigung der Speichen mittels des Ziehmessers bläute mir mein Vater präzis ein, wie die vordere gerade Fläche, Spiegel genannt, mit einer Kante von den sanften Rundungen abgesetzt werden musste. Das schulte mein Auge fürs Leben, jede Speiche ist eine kleine Skulptur!“ 

Andres Furger Pferd und Wagen Wagnermeister Alfred Köng in der Wagenschmiede Letzkus
Rechts der Wagnermeister Alfred Köng in der Wagenschmiede Letzkus in Basel um 1900

Das Kutschenmuseum im Botanischen Garten zog nach und nach viele Interessierte an. Dazu gehörte eines Tages Rudolf Meier-Börlin, der sich mir als „letzten Basler Wagenmaler“ vorstellte. Er war bereits über 70 Jahre alt und gesundheitlich etwas angeschlagen, seine Augen begannen vor den alten Wagen aber zu leuchten. Ich fragte ihn über seine frühere Arbeit aus und er begann flüssig zu berichten. Schliesslich anerbot er sich, wieder tätig zu werden. Wir fackelten nicht lange, räumten eine Ecke des Museums frei und richteten ihm eine Werkstatt ein. Eine soeben angekaufte Kalesche der Zeit um 1820 war in einem so schlechten Zustand, dass die alte Bemalung nicht zu retten war. Diese Kutsche nahm er sich vor, begann zu schleifen und zu spachteln. Jetzt ging es ihm immer besser. Schliesslich folgte die Neubemalung nach den vorgefunden Farbresten. Voll ins Element kam er bei der Linierung als letztem Akt. Er brachte seine langhaarigen Schlepperpinsel von zu Hause mit, tauchte sie mit zittriger Hand in die rote Farbe auf der Palette und zog schliesslich mit routiniertem Zug die feinsten Linien auf die lackierten Flächen. Kaum angesetzt, wurde die Hand ruhig, wie in alten Zeiten. Er gehöre schliesslich noch zum alten Schlag der Handwerker, die früher „mit den Augen stehlen mussten“, wie er meinte. Schliesslich konnte ich ihn überreden, einige Geheimnisse seines Handwerks preiszugeben; er verfasste 1982 eine Broschüre mit dem Titel „Die Handlackierung alter Kutschen, Schlitten und Autos“, die wir im Museum erfolgreich verkauften.

Der Wagenmaler war nicht der einzige, der interessante Geschichten zu erzählen wusste. Es konnten auch alte Basler für den freiwilligen Museumsdienst verpflichtet werden, die den Besuchern bereitwillig über die alten Zeiten Auskunft gaben. Zu diesen Zeitzeugen gehörte der ehemalige Oberleutnant Iselin, der im Zweiten Weltkrieg noch sein Dienstpferd vor seinen Dogcart gespannt hatte. Oder die Nachkommen aus den beiden Droschkenanstalten Keller und Settelen öffneten bereitwillig ihre Archive. So kam in kurzer einiges Wissen zusammen, das 1982 in einem Büchlein mit dem Titel „Kutschen und Schlitten aus dem alten Basel“ der Stiftung für das Historische Museum Basel veröffentlicht wurde.

Epilog

Gerissener Faden zur Kutschenzeit? Im Herbst 2016 wurde das Kutschenmuseum in Brüglingen sang- und klanglos geschlossen. Die historischen Fahrzeuge verschwanden im Museumsdepot.